Es folgt eine Weihnachtsgeschichte aus Spanien: „Meister Pérez der Organist“ (Teil 3) von Gustavo Adolfo Bécquer (1836-1870), in meiner Übersetzung, leicht bearbeitet. Die ersten beiden Teile finden sich hier und hier.
III
„Guten Abend, meine beste Doña Baltasara. Geht Ihr auch zur Christmette? Ich für meinen Teil hatte ja vor, sie in der Pfarrkirche zu hören, aber wie es so kommt … Wo geht Vicente hin? Dorthin, wo alle hingehen. Und außerdem, wenn ich die Wahrheit sagen soll, seit Meister Pérez gestorben ist, liegt es mir jedes Mal wie ein Stein auf dem Herzen, wenn ich bei Santa Inés eintrete … Der Ärmste! Er war ein Heiliger! … Ich kann von mir sagen, dass ich ein Stück von seinem Rock aufbewahre, wie eine Reliquie, das hat er verdient … und bei Gott und meiner Seele, wenn der Herr Erzbischof die Sache in die Hand nimmt, dann werden unsere Enkel ihn auf den Altären sehen … Aber wie soll es dazu kommen? … Aus den Augen, aus dem Sinn, das gilt für die, die weggehen, und noch mehr für die Toten … Heutzutage lockt nur das Neue … Ihr versteht mich doch. Was! Ihr wisst gar nicht, was geschehen ist? Ja, in diesem Punkt sind wir uns ähnlich; aus dem Haus in die Kirche und aus der Kirche wieder nach Hause, ohne darauf zu achten, welcher Klatsch gerade die Runde macht … Nur in diesem Fall … da habe ich es aufgeschnappt … ein Wort hier, ein Wort da … ich wollte mich nicht näher erkundigen, aber bei manchen Neuigkeiten bin ich doch auf dem Laufenden … Und in dem Fall war es so, dass der Organist von San Bartolomé, diese hagere Gestalt, der immer über die anderen Organisten schimpft, dieser Taugenichts, der eher wie ein Schlachter von der Puerta de la Carne aussieht als wie ein Meister der Musik, also der spielt an diesem Heiligen Abend anstelle von Meister Pérez. Ihr wisst ja, das weiß ja ganz Sevilla, dass niemand diese Aufgabe übernehmen wollte. Nicht einmal seine Tochter, die Lehrerin ist und die nach dem Tod ihres Vaters als Novizin ins Kloster gegangen ist. Und das ist nur natürlich: Wir haben uns daran gewöhnt, diese Wunder zu hören, uns käme alles andere schäbig vor, und deshalb wollten alle den Vergleich meiden. Aber als die Gemeinde schon beschlossen hatte, dass zu Ehren des Verstorbenen die Orgel in dieser Nacht still bleiben sollte, kam unser Mann angelaufen und sagte, er wollte es wagen zu spielen … Es wagt eben niemand mehr als der Ignorant … Dabei ist es nicht einmal so sehr seine Schuld, als die der Leute, die diesem Sakrileg zugestimmt haben … aber so ist der Lauf der Welt … und ich sage, wenn man sich anschaut, wer kommt … man könnte meinen, seit dem letzten Jahr hätte sich gar nichts verändert. Die gleichen Leute, der gleiche Luxus, das gleiche Gedränge an der Tür, der gleiche Tumult im Vorhof, die gleiche Menge in der Kirche … Ach, wenn der Verstorbene das sehen könnte! Er würde auf der Stelle noch einmal sterben, weil seine Orgel nicht von kundigen Händen gespielt wird. Aber wenn mir die Leute aus diesem Viertel die Wahrheit gesagt haben, dann haben sie etwas für den Eindringling vorbereitet. Wenn es so weit ist und er die Hände auf die Tasten legt, dann fängt eine Katzenmusik an mit Schellen, Tamburins und Rummeltöpfen, dass man sonst nichts mehr hört … aber still! Da betritt der Held der Vorstellung die Kirche. Jesus, was für ein farbenfroher Aufzug, was für ein Mühlstein von Halskrause, was für ein Gehabe! Kommt, kommt, der Erzbischof ist schon eine Weile da, die Messe fängt gleich an … Kommt, ich habe das Gefühl, dass wir von dieser Messe noch lange erzählen werden.“
So sprach die gute Frau, deren Gesprächigkeit uns bereits bestens bekannt ist, und betrat die Kirche Santa Inés. Wie gewohnt bahnte sie sich mit den Ellenbogen einen Weg durch die Menge. Die Zeremonie würde sogleich beginnen.
* * *
Das Gotteshaus war ebenso strahlend erleuchtet wie im Jahr zuvor.
Der neue Organist durchquerte die Menge der Gläubigen im Kirchenschiff, um den Ring des Erzbischofs zu küssen, und stieg zur Empore hinauf. Dort spielte er ein Register der Orgel nach dem anderen an, mit ebenso aufgesetzter wie lächerlicher Wichtigkeit.
Unter den Menschen, die zahlreich im Kirchenschiff versammelt waren, hörte man ein dumpfes, wirres Murmeln, eine leise Vorahnung des Sturms, der sich bald erheben würde.
„Er ist ein Betrüger, er kann überhaupt nichts, außer vielleicht geradeaus schauen“, sagten die einen.
„Er versteht sein Fach nicht. Er hat die Orgel seiner Gemeinde in ein Wrack verwandelt, und jetzt will er Meister Pérez’ Instrument entweihen“, sagten die anderen.
Und während der eine den Umhang ablegte, um gleich umso fester das Tamburin schlagen zu können, und der andere die Schellen herausholte und alle sich darauf vorbereiteten, den größten Lärm zu machen, wagte es kaum einer, den seltsamen Menschen halbherzig zu verteidigen, der mit seinem stolzen Auftreten und seiner Pedanterie einen so deutlichen Gegensatz zur bescheidenen Erscheinung und herzlichen Güte des verstorbenen Meister Pérez bildete.
Endlich kam der erwartete, feierliche Augenblick, in dem der Priester sich verneigte, heilige Worte murmelte und die Hostie in die Hände nahm … Die Glocken läuteten; ihr Klingen erinnerte an einen kristallklaren Regen von Tönen. Durchscheinende Wellen von Weihrauch stiegen auf. Die Orgel erklang.
* * *
Lärmend erhob sich die Katzenmusik, füllte augenblicklich das Kirchenschiff und erstickte den ersten Akkord.
Panflöten, Dudelsäcke, Schellen, Tamburins, alle Instrumente der einfachen Leute erhoben zugleich ihre Stimmen; aber das Durcheinander und das Getöse dauerten nur Sekunden. So gleichzeitig, wie sie eingesetzt hatten, verstummten sie wieder.
Der zweite Akkord, voll, schneidig, großartig, drang aus den Orgelpfeifen hervor wie ein unerschöpflicher Wasserfall von harmonischen Klängen.
Himmlische Klänge, wie sie in Momenten der Verzückung den Ohren schmeicheln; Gesänge, wie sie der Geist wahrnimmt und der Mund nicht wiederholen kann; einzelne Töne einer fernen Melodie, die in Abständen erklingen, herbeigeweht vom Wind, das Murmeln der Blätter, die sich an den Bäumen küssen, ein Rauschen wie von Regen, das Trillern der Lerchen, die sich zwitschernd aus Blüten erheben wie Pfeile, die zu den Wolken hinaufschießen; Donner ohne Namen, beeindruckend wie das Brausen eines Sturms; der Chor der Seraphim ohne Rhythmus oder Kadenz, die unbekannte Musik des Himmels, die nur die Fantasie begreifen kann; geflügelte Hymnen, die sich zum Thron des Herrn erheben wie ein Wirbelsturm aus Licht und Klang … all das drückten die hundert Stimmen der Orgel aus, mit größerer Wucht, mit geheimnisvollerer Poesie, mit fantastischeren Farben, als man je gehört hatte.
* * *
Als der Organist von der Empore herabstieg, drängte sich an der Treppe eine solche Menge, so voller Eifer, ihn zu sehen, dass der Stadtrichter nicht ohne Grund fürchtete, man werde den Musikanten noch erdrücken, und die Büttel losschickte, ihm einen Weg zum Hauptaltar zu bahnen, wo der Erzbischof ihn erwartete.
„Ihr wisst“, sagte dieser, als man den Organisten vor ihn brachte, „dass ich nur deshalb aus meinem Palast hierher komme, um Euch spielen zu hören. Seid Ihr ebenso grausam wie Meister Pérez, der mir diesen Weg niemals ersparen und in der Heiligen Nacht zur Messe in der Kathedrale spielen wollte?“
„Im nächsten Jahr“, erwiderte der Organist, „werde ich Euren Wunsch erfüllen, das verspreche ich. Denn für alles Gold der Welt werde ich diese Orgel nicht mehr spielen.“
„Und warum nicht?“, unterbrach ihn der Kirchenfürst.
„Weil …“, fuhr der Organist fort und versuchte, das Gefühl zu unterdrücken, das in der Blässe seines Gesichts erkennbar wurde, „weil sie alt und in schlechtem Zustand ist. Sie kann nicht alles ausdrücken, was man von ihr wünscht.“
* * *
Der Erzbischof entfernte sich mit seinem Gefolge. Eine nach der anderen zogen die Sänften der Herrschaften vorbei und verschwanden um die nächsten Straßenecken; die Gruppen im Innenhof lösten sich auf, die Gläubigen gingen in verschiedene Richtungen davon; die Pförtnerin war schon im Begriff, das Tor zum Vorhof abzuschließen, als sie noch zwei Frauen erblickte, die sich bekreuzigten, vor dem Bild von San Felipe ein Gebet murmelten und sodann ihren Weg in die Callejón de las Dueñas fortsetzten.
„Sagt, was Ihr wollt, Doña Baltasara“, sagte die eine, „ich komme nicht darüber hinweg. So hat jedes sein Steckenpferd … Und wenn es mir die barfüßigen Kapuziner selbst versichern würden, könnte ich es doch nicht glauben … Dieser Mensch kann das nicht gespielt haben, was wir gerade gehört haben … Ich habe ihn tausendmal in seiner Gemeinde in San Bartolomé gehört, und dort musste ihn der Herr Pfarrer vor die Tür setzen, weil er so schlecht war, dass sich die Leute lieber die Ohren mit Watte verstopften … Und man braucht ihm doch nur ins Gesicht zu sehen, das ist ja, wie man sagt, der Spiegel der Seele … Ich weiß noch, der Ärmste, als ich ihn gesehen habe, dachte ich an das Gesicht von Meister Pérez, wie er in einer anderen Nacht wie dieser von der Empore gekommen ist, nachdem er uns alle mit seinen Meisterwerken fasziniert hat … Dieses gütige Lächeln, diese lebhafte Farbe! … Er war alt und sah aus wie ein Engel … nicht wie dieser, der die Treppe heruntergestolpert kam, als ob ihn oben ein Hund vergebellt hätte, und im Gesicht war er blass wie eine Leiche … Kommt, Doña Baltasara, glaubt mir, glaubt mir nur … das geht nicht mit rechten Dingen zu …“
Bei diesen letzten Worten bogen die beiden Frauen in die Gasse ein und verschwanden.
Es ist wohl unnötig, darauf hinzuweisen, wer die eine von ihnen war.
* * *
Fortsetzung folgt.
Bild: Ed Schipul via Flickr, CC BY-SA 2.0