Eine Menschentraube marschierte durch den geometrisch angelegten Park mit prächtigen Wasserspielen auf das Rokoko-Schlösschen zu. Sie waren bunt und abenteuerlich ausstaffiert mit Dreispitzen und Kopftüchern, Rüschenhemden und gestreiften Hosen oder Röcken. Einige trugen Säbel und plumpe Pistolen im Gürtel. Eine Frau mit wilden braunen Locken hatte einen Plüschpapagei auf der Schulter sitzen. Neben ihr ging eine deutlich schlankere Frau in grauer Schößchenjacke und weißer Haube, unter der sich eine dunkelblonde Strähne hervorringelte.
„Du kannst dich ja über verunglückte Gewandung amüsieren, Anja, wenn du keine Lust auf Piraten-Tumult hast“, schlug die Frau mit dem Papagei vor.
Anja lachte. „Och, die drei bösen Königinnen, die wir auf dem Parkplatz getroffen haben, waren doch sehr elegant angezogen.“
Die Traube versammelte sich vor einer Bretterwand, an der das Programm angeschlagen war, und alle reckten die Hälse.
„Ich geh zum Tanzworkshop“, erklärte Anja, „das ist mehr so meine Richtung.“
„Jo, pass bloß auf, wenn du dir nen Prinzen angelst, nicht dass das in Wirklichkeit ein Frosch ist.“
„Keine Angst, Sibylle. Eher bring ich den Gestiefelten Kater mit nach Hause.“
„Da haben wir auf jeden Fall mehr von. Bis später!“ Sibylle winkte und lief ihren Piratenfreunden hinterher, um den Startpunkt der Schatzsuche ausfindig zu machen.
Der Tanzsaal war mit reichlich Gold und Spiegeln ausgestattet, was dazwischen an Wand zu sehen war, mit grüner Seide mit Vogelmotiven bespannt. Ein seltsamer Kontrast zu den Stahlrohrstühlen davor. Anjas Lehrer im Mappenkurs hätte wohl seine Freude daran.
Ehe sie dazu kam, ein Bild von diesem Arrangement zu schießen, betrat durch eine versteckte Tür neben dem Porträt des Bauherrn ein junger Mann den Raum. Er trug den farbenfrohen Seidenanzug eines Höflings und eine täuschend echt wirkende weiße Perücke mit Haarbeutel.
Anja knickste unwillkürlich vor der stolzen Erscheinung.
„Inkommodiert Euch nicht, Mademoiselle, ich bin hier nur der Tanzlehrer.“ Auch wenn er ausgestorbene Wörter kannte, sprach er mit einem deutlichen Akzent, nicht unbedingt französisch.
„Äh … und ich bin das dreizehnte Hilfsküchenmädchen.“ Etwas Geistreicheres fiel ihr nicht ein. Zu sehr war sie damit beschäftigt, den Tanzlehrer zu betrachten. Sein fein gezeichnetes Gesicht mit den hellen, aufgeweckten Augen, seine schmalen Hände, die lässig eine winzige Geige hielten.
„Ich heiße Lauri“, sagte er und sah sich suchend im Raum um. „Ich hoffe, wir werden noch mehr.“
„Anja“, murmelte sie. „Ja, das hoffe ich auch.“
Sie standen einige Augenblicke unbehaglich herum, bis von draußen Stimmen zu hören waren.
„Spiegelsaal. Hier muss es sein.“
Paul. Konnte der nicht bei anderen Gelegenheiten tanzen gehen? So ein Tagesworkshop auf einem Märchenfest mit großer Schatzsuche war doch unter seinem Niveau.
Lauri öffnete schwungvoll die Tür. „Hereinspaziert, die Herrschaften. Man erwartet Euch bereits.“
Paul hatte sich von der überhöhten Perücke bis zu den roten Absätzen perfekt für ein Jahrhundert vor der Bauzeit des Schlosses ausstaffiert. Die Weste spannte inzwischen deutlicher über dem Bauch als vor zwei Jahren, als Anja sie genäht hatte. Die dazugehörige Dame im Joséphine-Outfit wartete gerade lang genug an der Tür, dass sie ihren eigenen Auftritt bekam.
Anja knickste wieder und hoffte noch dringender als vorher auf weitere Teilnehmer.
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