Ich will niemanden mit der Lebensgeschichte von Opa Kurt langweilen. Es reicht zu wissen, dass er fast hundert Jahre alt geworden ist und inmitten völlig trockener Umgebung Mitglied der Marinekameradschaft war. Letzten Endes ist er dann doch gestorben, und meine Tante, die ein paar Jährchen jünger ist als ich, hat geerbt. Ich hatte lange Zeit kaum noch mit ihm zu tun gehabt. Bei der Beerdigung war ich trotzdem aufgekreuzt, hatte ein paar kleine Scheine für Grabschmuck und eine nichtssagende Karte in den dafür vorgesehenen Kasten gesteckt und die Sache vergessen.
Ein paar Tage später kam dann ein Anruf von der besagten Tante. Sie redete gar nicht lang um den Brei herum: „Willst du Opas Glücksfisch haben?“
„Äh …“ Ganz dunkel kam mir die Erinnerung. Als kleiner Knirps hatte ich Opa noch regelmäßig besucht, und da stand immer ein riesiges Aquarium im Keller. Darin lag auf der einen Seite ein rötlicher Gesteinsbrocken, der oben aus dem Wasser ragte, und neben dem Stein hing träge ein dicker Fisch. Auch wenn er nur das Maul auf und zu klappte und ab und zu eine Flosse bewegte, fand ich, sah er aus, als ob er irgendwann an Land krauchen und der erste Dinosaurier werden wolle. Vielleicht habe ich das auch mal zu Opa gesagt, denn er machte mir angehendem Erstklässler weis, dass der Fisch hin und wieder auf diesen Stein krabbelte und sang. Bei Vollmond natürlich.
Tante Tine riss mich aus meinen Erinnerungen. „Wir haben keinen Platz für das Aquarium.“
„Aber ich, oder was?“ Dabei hatte ich mir schon ein paarmal überlegt, wo ich so etwas unterbringen könnte. Halt eher für einen Leguan, aber der braucht auch recht viel Platz.
„Keine Ahnung, ich frag ja nur. Oder weißt du was, wo du das Vieh verkloppen kannst?“
So aus dem Stand natürlich nicht.
„Egal, bring ihn her. Da fällt mir schon was ein.“ Ich könnte wenigstens den nächsten Vollmond abwarten.
„Ich dachte, du holst ihn ab. Mit dem Aquarium.“
Auf dem Rad? „Wenn ich einen Truck auftreiben kann …“
„Ach so.“ Jetzt fing Tante Tine offenbar doch an nachzudenken. „Ich frag mal Ralf, der hat so Fahrzeuge.“
Ich hatte zwar keine Ahnung, wer Ralf sein sollte, aber egal.
„Mach das“, sagte ich, „und dann telefonieren wir noch mal.“
Wir telefonierten noch mal, und kurze Zeit später fuhr Ralf im verbeulten weißen Lieferwagen vor. Darin stand das Aquarium mit allem Zubehör. Den Glücksfisch hatte er in ein Gewurstel aus Eimern und Mülltüten gepackt. Hm, ja, offenbar konnte das Wesen es doch eine Zeitlang an der Luft aushalten. Gemeinsam schleppten wir das Aquarium in mein überflüssiges Zimmer und setzten es so schnell wie möglich wieder in Gang. Dann wuchteten wir den Fisch hinein.
Der sah genau so merkwürdig aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Ein grün schillernder Schwanz und ein etwas unförmiger Vorderkörper mit einer Andeutung von Hals. Oder kam mir das nur so vor?
* * *