Liriel die Weiße
Lilli rutschte in ihrem Schlafsessel hin und her. Die Dinger waren einfach unbequem, viel zu eng. Im Liegewagen hätte die Fahrt nicht so viel mehr gekostet, aber die ganze Klasse hatte sie niedergebrüllt, als sie den Vorschlag machte. Anscheinend hatten die anderen gar nicht vor zu schlafen. Sie waren alle mit essen, Karten spielen, daddeln, sich quer über drei Sitzreihen unterhalten oder gemeinsam Musik hören beschäftigt. Lilli schlug ihr Buch wieder auf und versuchte wenigstens zu lesen.
„Kalaï flog auf dem Rücken ihres Drachen dahin wie der Wind. Der lange Weg von Barekh zur Drachenzinne schrumpfte auf drei kurze Tagesreisen zusammen. Drei Tage, in denen weder Brückenwächter noch unwegsames Gelände sie aufhalten konnten. Ihre Verfolger hatte sie weit hinter sich gelassen.
Die Sonne näherte sich dem Horizont. Kalaï musste an ein Nachtlager denken. Ursprünglich wollte sie diese Nacht in Sulihah verbringen und dabei gleich der Mondaresse ihre Botschaft ausrichten. Aber Sulihah hatte sie schon am Mittag passiert. Vor ihr lag Torglindis. Dort konnte sie dem Gaedir mitteilen, was sich im Süden zusammenbraute. Wenn sie dafür die letzten paar Stunden Flugzeit opferte, die ihr noch blieben.
Kalaï steuerte den Shrewenwald im Westen der Stadt an und drängte ihren Drachen zum Landen. Während er langsam auf eine Lichtung niederging, zog sie den Metschlauch aus ihrem Rucksack. Der Drache setzte auf. Schnell den Met auf seinen Hals gießen – der Sturz – abrollen.
Kalaï beklopfte ihre Glieder und stellte fest, dass sie nichts gebrochen hatte. Dann suchte sie den Metschlauch und vor allem die Kristallfigur, die ihr Drache war. Sie verwahrte die Figur in der Gürteltasche.“
Lilli hatte still zwischen den Bäumen gestanden und Kalaï beobachtet. Jetzt trat sie hervor – eine hochgewachsene, schlanke Frau im weißen Gewand. Blonde Locken fielen ihr bis auf den Rücken. In der Hand hielt sie einen Stab mit einem weißen Stein am Ende.
„Liriel die Weiße!“, rief Kalaï erstaunt.
Lilli verneigte sich. „Und Ihr seid die fliegende Botin Kalaï, nehme ich an.“
„Welch ein Zusammentreffen! Es ist gut, dass Ihr kommt. In Barekh droht Unheil. Ich bringe die Botschaft zur Drachenzinne. Aber heute will ich mein Nachtlager in Torglindis aufschlagen und dem Gaedir die Nachricht bringen. Ich nehme an, Ihr kennt ihn?“
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