Das Nationaltheater Mannheim baut seit einigen Jahren an einem vierteiligen Monteverdi-Zyklus und hat als dritten Teil nach zwei Opern die Marienvesper ins Programm genommen. Sie wird allerdings weder konzertant noch als großes Oratorium aufgeführt, sondern szenisch.

Monteverdis Marienvesper in Mannheim

Ensemble, Chor und Kinderchor des NTM

Keine Vesper

Die Gelehrten sind geteilter Meinung darüber, welche Form der Aufführung Monteverdi wohl für seine Musik vorgesehen hätte. Möglicherweise ist diese Sammlung von Stücken, die in Stil und Besetzung teilweise weit auseinander liegen, gar nicht als eine aufzuführende Einheit anzusehen. Zwar lautet der Titel „Vespro della Beata Vergine“ und die vertonten Psalmtexte gehören zur Liturgie für Marienfeste. Trotzdem weist Monteverdi höchstselbst darauf hin, dass Teile der Sammlung nicht für den liturgischen Gebrauch geeignet sind.

Eine Theorie darüber, was das Ganze darstellen soll, besagt, dass es sich um eine Art Bewerbungsmappe handelt. Monteverdi war auf der Suche nach einer besseren Anstellung, bevorzugt im Kirchendienst statt an einem Fürstenhof, und wollte mit diesem Werk zeigen, welche musikalischen Ausdrucksformen er beherrscht. Möglicherweise ging es sogar darum, einen direkten Konkurrenten auszustechen.

Wenig skandalös

Das Stück auf die Opernbühne zu bringen entspricht also vielleicht nicht der reinen Lehre der historischen Aufführungspraxis, ist aber auch keine allzu abwegige Idee. Allerdings geht die Inszenierung von Calixto Bieito offenbar über frühere Ansätze in diese Richtung hinaus (Berlin 2007, Amsterdam 2017). Eine Handlung im engeren Sinn gibt es nicht, dafür nehmen die Gesangssolisten klar erkennbare Rollen an, die der Regisseur als Gestalten aus seiner Kindheit erklärt. Das Magnificat wird als „Lied von Revolution und Umsturz“ gedeutet, das Ganze als liturgisches Gedicht „über die Stärke der Frauen“ (Interview im Programmheft), was anhand der biblischen Texte zu verteidigen ist. Die Zeittafel im Programmheft reicht von König David über Monteverdis Leben bis zur FEMEN-Bewegung. Das dient als Erinnerung daran, dass gerade die Texte aus dem Alten Testament im Laufe der Zeit in immer neue Richtungen umgedeutet wurden.

Trotz der revolutionären Anklänge bleibt die Inszenierung wenig skandalös und ziemlich jugendfrei. Es fließt wenig Blut, eine nackte Brust – in Anlehnung an eine „Madonna mit Kind“ aus dem späten 15. Jahrhundert – ist das höchste der Gefühle. Hinzu kommt, dass auf der ringförmigen Bühne und den einbezogenen Logen immer mehrere Aktionen gleichzeitig laufen. Als Zuschauer*in „verpasst“ man notgedrungen das eine oder andere.

Die Musik gewinnt

Es lohnt sich außerem, neben der Action auf der Bühne auch den Orchestergraben im Auge zu behalten. Der Graben ist hier eher eine Grube in der Mitte der Bühne und das Orchester ist recht überschaubar. Es spielt das Ensemble Il Gusto Barocco unter der Leitung von Jörg Halubek auf historischen Instrumenten. Das kommt zwar in den letzten Jahren häufiger vor, aber oft erschöpft sich das Historische in der Anwesenheit eines Cembalos. Hier nicht.

Die Zupfinstrumente sind durch eine Harfe und zwei Lauten vertreten. Dafür nimmt eine Orgel mit Holzpfeifen breiten Raum ein. Ob sie für eine möglichst originalgetreue Aufführung eigentlich größer sein müsste oder ob die Kammerversion genügt, scheint in der Wissenschaft noch nicht ganz geklärt zu sein. In der aktuellen Inszenierung bildet das vorhandene Instrument jedenfalls eine ausgezeichnete Grundlage für das Ensemble.

An dem sind außerdem zwei Violinen,ein Lirone und ein Cello beteiligt. Auf der Bläserseite sitzen drei Posaunen und drei Zinken. Die Zinkenisten wechseln nicht nur mal eben schnell zwischen zwei verschiedenen Ausführungen ihres Instruments, sondern auch hin und wieder zur Blockflöte.

Trotz aller schauspielerischen Leistungen, trotz der einfallsreichen Inszenierung, trotz Bühnen- und Kostümbild gewinnt in meinen Ohren am Ende die Musik. Sie ist der ausschlaggebende Grund, sich die Aufführung anzusehen bzw. -hören. So wie es bei einem Roman um den Text geht und weniger um die Illustrationen oder das Cover.

Premiere war am 15. Dezember; weitere Termine: 25.01., 06.06. und 13.06.

 

Literatur

BOWERS, R. (2010). Of 1610: Claudio Monteverdi’s ‘Mass, motets and vespers’. The Musical Times, 151(1912), 41-46. Retrieved from http://www.jstor.org/stable/25759499

NTM – Marienvesper – Claudio Monteverdi, Programmheft, Dezember 2018, Redaktion: Dramaturgie Oper am NTM (Cordula Demattio)

Foto: Hans Jörg Michel