Geschichten und Musik

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Lesestoff – Mittelalterlicher Markt

Es folgt eine neue Portion Lesestoff, aus gegebenem Anlass spielt die Szene auf einem mittelalterlichen Markt, nicht auf Burg Lindenfels, sondern in der Reichsstadt Germersheim. Das Ganze gehört zu meinem unveröffentlichten Mittelalterkrimi „Der Junge aus Polen“. Mehr Abenteuer mit Alheit und Franz finden sich in der Bibliothek unter Geschriebenes.

Lesestoff - Mittelalterlicher Markt

Auf dem Marktplatz hatte ein milchgesichtiger Händler seine Bude aufgeschlagen und stellte nun Töpferwaren aus.

Gleich neben ihm jonglierten zwei Gaukler mit allerlei Gerät. Der Händler schien gar nicht zu bemerken, dass sich einer von ihnen ein Tiegelchen in passender Form und Größe nahm und wie einen seiner bunten Bälle durch die Luft wirbelte. Nach einigen Runden setzte der Gaukler es elegant wieder ab.

Da erst erhob der Händler ein Geschrei: „Bist du verrückt geworden? Das ist zerbrechliche Ware! Den Schaden zahlst du mir!“

Welchen Schaden?“, rief ein Händler der weniger reichen Sorte mit struppigem blondem Bart und dichten Locken. Er trat aus einem runden roten Zelt an der Südseite des Platzes, etwa in gleicher Entfernung von Kloster und Rathaus.

Der junge Kaufmann fuhr verwirrt herum und betrachtete seine Ware genauer.

Ein derbes Lachen erklang. Frieder der Wirt. Hier stand er auf dem Markt, in einer neuen dunkelgrünen Feiertagscotte, den Becher in der Hand, und amüsierte sich, während seine Frau zu Hause die Gäste willkommen hieß. Ob er aus dem Fässchen auf seinem Handkarren tatsächlich Wein verkaufte oder mehr davon selbst trank, mochten die Heiligen wissen. Alheit wandte sich ab.

Franz begleitete die akrobatischen Sprünge der beiden Gaukler auf der Drehleier. Es wurde Zeit für Alheit, ihn zu unterstützen. Dennoch zögerte sie, die Flöte aus dem Korb zu nehmen. Mit dem schrillen Instrument konnte sie sich nicht mehr verstecken. Aber früher oder später musste sie spielen, früher oder später musste sie Frieder entgegentreten. Sie fiel in die Tanzweise ein und nickte Else zu, kräftiger zu trommeln. Die erwiderte Alheits Blick verständnislos.

Zu Frieder und seinem Fässchen kam tatsächlich eine Kundin. Eine hagere Frau mit dunklen Augen und grauer Haube ließ sich ihren Krug füllen. Der Bärtige legte von hinten den Arm um sie. Ungerührt schenkte sie ihm ein. Offenbar kannten sie ihn schon länger. Sie blieben bei Frieder stehen und gaben, ihrer Miene nach zu urteilen, allerlei spöttische Bemerkungen zu den Menschen und dem Geschehen auf dem Marktplatz.

Die Gaukler ließen sich mit einem gewagten Sprung zu Boden fallen, Franz spielte ein Amen. Die Zuschauer riefen nach mehr. Doch der Händler mit seinen empfindlichen Töpfen schlug vor: „Aber jetzt macht ihr da drüben weiter, ja?“

Da drüben?“, fragte der größere der beiden Gaukler und wandte sich schwungvoll in die gezeigte Richtung.

Nein, da drüben.“ Sein Geselle kam ihm mit ebenso viel Schwung entgegen, und sie fielen zurück in den Staub.

Als sie sich wieder regten, stimmte Franz einen Reigen an und tanzte zwischen Buden, Brettern und Planen hindurch zu der angewiesenen Stelle. Aus dem Augenwinkel sah Alheit, dass die Gaukler ihnen mit allerlei Verrenkungen folgten.

* * *

Bild: gemeinfrei, via Wikipedia

Virtuelles Konzert Nr. 6 – Geistliches

Zum Thema Musik in der aktuellen Lage habe ich im vorhergehenden Artikel schon ein paar Worte verloren. Jetzt habe ausgerechnet ich gerade einen musikalischen Auftrag bekommen, und deshalb gibt es heute das virtuelle Konzert Nr. 6 mit einer Handvoll geistlicher Lieder. Ich habe versucht, den militärisch geprägten Blaskapellen auszuweichen und statt dessen weniger alltägliche Versionen zu finden.

“Großer Gott, wir loben dich” – nicht in Blech, aber in Metall:

“Nun danket alle Gott” – ohne Strammstehen:

https://www.youtube.com/watch?v=ZjciFu37Bd8

“Befiehl du deine Wege” – mit Bach einmal um die Welt:

https://www.youtube.com/watch?v=4nV8NakYNfs

“Allein Gott in der Höh sei Ehr” – Early Music Revival im späten 20. Jahrhundert:

https://www.youtube.com/watch?v=xvhpPCqMX1k

“Geh aus, mein Herz, und suche Freud” – Es gab eine Melodie vor Harder:

https://www.youtube.com/watch?v=N0X1SmVKmQE

“Ein feste Burg ist unser Gott” – geht auch ökumenisch:

Virtuelles Konzert Nr. 5 – Trumscheit

Heute gibt es wieder einmal ein virtuelles Konzert, Nr. 5 seiner Art, das einem etwas speziellen Instrument gewidmet ist – dem Trumscheit.

Virtuelles Konzert Nr. 5 - Trumscheit

Darauf bin ich gekommen, weil mir bereits eine Idee für den diesjährigen NaNoWriMo im Kopf herumspukt. Darin soll eine Musikertruppe mit spezieller Besetzung eine Rolle spielen, für die ich schon mal anfange, die Instrumente zusammenzusuchen. Bisher habe ich nur eine Vorstellung von einem Menschen, der im Stehen ein langes Saiteninstrument spielt. (Aus dem Menschen kann natürlich auch noch ein fantastischeres Wesen werden.)

Ich dachte kurz an etwas wie die Teufelsgeige, aber die ist eher zum Lärmen geeignet als zum Spielen. Außerdem wird sie meist im Zusammenhang mit Zieh- oder Mundharmonika erwähnt. Ich habe  zwar auch eine Fantasy-Bardin, die so was spielt, aber das wollte ich eigentlich nicht einreißen lassen. Schon gar nicht, wenn sich das übrige Setting eher am Spätmittelalter orientieren soll.

Beim weiteren Umschauen wurde es das Trumscheit, das es als Tromba marina im 17. und 18. Jahrhundert auch zu einigem gesellschaftlichem Ansehen und eigens dafür geschriebenen Kompositionen gebracht hat. Für „mein“ Abenteuer wird es aber eher eine ältere Variante, vielleicht auch eine kürzere, die zum Spielen auf einen Stuhl oder ähnliches gestützt wird.

Der Klang des Instruments wird oft als trompetenartig beschrieben, und offenbar wurde es auch entsprechend eingesetzt und mit anderem lautem Gebläse kombiniert. (Als zusätzlicher Bordun zum Dudelsack ist vielleicht trotzdem nicht die sinnvollste Verwendung.) Meine Vorstellung von der Truppe geht eher in Richtung leisere Instrumente, was offenbar ebenfalls funktioniert. Ob das historisch korrekt ist, sei dahingestellt. Bis November erfahre ich möglicherweise noch mehr zum Thema.

Jetzt gibt es erst einmal Musik

Passend zur Jahreszeit: https://www.youtube.com/watch?v=XzGrzUpLdgw

Einmal Hildegard von Bingen: https://www.youtube.com/watch?v=ZRfwaf8ZlKk

Was eher Neumodisches: https://www.youtube.com/watch?v=l7gKy_0R6M8

Jean-Baptiste Prin, der Experte für die Tromba marina: https://www.youtube.com/watch?v=_xJQk51M9I0

 

Verwandter Artikel: Weltenbau – Über Musik (dort geht es übrigens auch um die Welt, in der sich die Ziehharmonika spielende Bardin herumtreibt)

Literatur: Dwight Newton, The Tromba Marina – A Study in Organology, 2002

Bild: gemeinfrei

Virtuelles Konzert Nr. 4 – Sowjetisches

Heute gibt es wieder ein virtuelles Konzert, inzwischen Nr. 4, mit Musik von einem sowjetischen Komponisten. Über Reingold Morizewitsch Glier – er schrieb sich mitunter auch “Glière” – bin ich in der Übersetzung gestolpert, die ich zur Zeit lektoriere, und muss gestehen, dass ich noch nie von ihm gehört hatte. Nun sind einige seiner Werke politisch inzwischen überholt, etwa die “Fantasie zum Feiertag der Komintern” für Blasorchester von 1924. Andere sind, in meinen Ohren jedenfalls, besser gealtert und weltanschaulich auf den ersten Blick weniger verdächtig.

Hier also eine kleine Auswahl:

Sinfonie für russische Volksinstrumente F-Dur, op. 80 – ist leider nicht zu erkennen, wer alles mitspielt.

“Hymne der großen Stadt” – hier vor illustrem Publikum

Konzert für Waldhorn und Orchester – eher weiter verbreitet als die anderen

Für den Fall, dass jemand noch nicht genug hat:

3. Sinfonie “Ilja Muromez” – unser Held wird mit Met geheilt.

 

Tag der Tage

Der 21. März hat, zumindest in diesem Jahr, offenbar eine Menge Bedeutungen.

Tag der TageZunächst mal ist Frühlingsanfang. Dafür stürmt es draußen noch ganz ordentlich, in den nächsten Tagen sind Minusgrade zu erwarten, und für “höhere Lagen” war auch von Schnee die Rede. Aber mit mehr Tageslicht kann es nur besser werden. Außerdem ist die Tagundnachtgleiche der Anlass für das persische Neujahrsfest Nuroz (oder wie man es schreiben will).

Unter anderem ist Early Music Day, der zur Zeit vor allem online stattfinden muss. Deshalb gibt es – weil das Konzert mit Servir Antico nur am besagten Datum zur Verfügung stand – zum Nachhören das Ensemble La Traditora.

Ebenso ist heute Indiebookday. Dazu habe ich im Zusammenhang mit #Bücherhamstern schon das eine oder andere geschrieben. Heute habe ich es geschafft, einen weiteren Einkauf aus dieser Aktion herunterzuladen: Das Gesetz der Flamm von Leann Porter, Fantasy mit Puffins aus dem Dead Soft Verlag. (Vorauskasse heißt: Erst überweisen, dann runterladen. Das ist manchmal zu kompliziert für mein Siebhirn.)

Das war der gemütliche Teil. Heute sind auch noch zwei weniger unterhaltsame, dafür aber wichtige “Tage”:

Zum einen hätten wir den World Down Syndrome Day. Dazu tragen eine Menge Leute im Rahmen der #Sockenaufforderung/#LotsOfSocks zwei verschiedene, möglichst bunte Socken. Das bringt etliche hübsche Bilder in den Sozialen Medien und bietet vielleicht einen Anstoß, sich zu diesem Thema zu informieren (hier auf Deutsch).

Zum anderen ist der 21. März der internationale Tag gegen Rassismus. Dieser Artikel hier ist zwar schon etwas älter, aber das zugrunde liegende Problem ist inzwischen noch nicht wirklich gelöst. Ein Tag im Jahr könnte dazu auch ein bisschen knapp bemessen sein.

Update: Inzwischen bin ich noch auf den Tag des Waldes aufmerksam geworden. Den gibt es auch schon eine ganze Weile, und auch er befasst sich mit einem Problem, das heutzutage eher noch dringender ist als vor 50 Jahren.

Na gut, Tag des Glücks war gestern, aber das nehmen wir heute immer noch, und morgen die nächste Portion …

Virtuelles Konzert

Inzwischen wackeln auch schon die Termine für Mitte Juni. Der VdÜ hat die Anmeldung für das Wolfenbütteler Gespräch ausgesetzt. Nach Ostern, so hofft die Organisation, steht dann sicher fest, dass die Veranstaltung stattfinden kann.

Aber ich wollte hier ja nicht unbedingt Hiobsbotschaften verbreiten. Der Ausfall der Leipziger Buchmesse hat ein medienwirksames Loch gerissen, betroffen waren aber auch noch andere Veranstaltungen.

Hier kommt also nach dem #bücherhamstern eine kleine Sammlung von Musik, von der Art, die am vergangenen Wochenende auf Burg Fürsteneck dran gewesen wäre.

Ich wünsche angenehme Unterhaltung und spannende Funde beim weiteren Stöbern anhand der Links.

Oder in anderen Konstellationen:

Evas Äpfel

Supersonus

sYn.de

Servir Antico

Les haulz et les bas

 

 

Die getreue Alceste in Schwetzingen

Die getreue Alceste in Schwetzingen

Schloss Schwetzingen mit Rokoko-Theater

Um hier einmal wieder von den Kochrezepten wegzukommen, gibt es heute einen kurzen Ausflug in die Oper. In der Reihe „Winter in Schwetzingen“ läuft „Die getreue Alceste“, eine Oper von Georg Caspar Schürmann, die 1719 uraufgeführt wurde. Schürmann war Hofkapellmeister in Wolfenbüttel und selbst Sänger (Alt/Tenor), er sang regelmäßig Hauptrollen in seinen Opern. In diesem Fall war wohl Admetus für ihn reserviert.

Eine antike Sage …

Die griechische Sage von Alkestis war im 17. und 18. Jahrhundert ein einigermaßen beliebter Opernstoff. Vor Schürmann haben sich unter anderem Lully, nach ihm Händel und Gluck des Themas angenommen. Der Mann der Titelheldin, König Admetus, liegt im Sterben. Der Herr der Unterwelt ist bereit, ihn zu verschonen, wenn jemand anderes für ihn in den Tod geht. Das tut Alkestis. Ihr Mann ist darüber untröstlich, und der antike Superheld Hercules macht sich auf, um Alkestis zurückzuholen.

Im Laufe der Jahrhunderte und der sich wandelnden Bühnenkonventionen wurde die Geschichte ausgeschmückt und umgebaut, weitere Figuren kamen dazu, andere verschwanden. Aus früheren französischen Fassungen stammt das zweite Paar, das sich im Lauf der Oper findet, Cephise und Strato. Im Libretto von Johann Ulrich König kommt noch die Amazonenprinzessin Hyppolite dazu, die als Mann verkleidet Hercules durch all seine Abenteuer folgt.

… und was daraus geworden ist

In dieser Inszenierung, deren Beginn vom barocken Hof in ein Jetset-Resort der 1960er verlegt wurde, tritt Hyppolite in der ersten Szene als cooler Typ mit Gitarre auf. Das ließ mich zumindest etwas anderes hinter dieser Figur vermuten als den Freund und Beschützer eines Helden. Leider wurde daraus im weiteren Verlauf der Handlung nichts mehr.

Auch Elemente und Motive der Handlung haben sich verschoben. So ist Admetus hier nicht todkrank, sondern wird im Kampf verwundet: Ein weiterer Verehrer entführt Alceste kurz vor der Hochzeit. Hercules lässt sich auf die Reise in die Unterwelt nicht nur aus Freundschaft zu Admetus ein, sondern um Alceste für sich zu gewinnen. Und Alceste erdolcht sich in dieser Fassung auf offener Bühne.

Schürmann selbst hat seine Oper für spätere Aufführungen mit italienischen Arien anderer Komponisten angereichert. Diese sind inzwischen wieder unter den Tisch gefallen. Das Ensemble barockwerk hamburg hat das Werk vor wenigen Jahren wieder ausgegraben, und diese gekürzte Fassung liegt der Inszenierung in Schwetzingen zugrunde.

Wind und Theaterdonner

Die musikalische Leitung hat Christina Pluhar, die unter anderem mit dem Ensemble L‘Arpeggiata bekannt wurde. Da wirkt das Orchester mit fast ausschließlich modernen Instrumenten etwas sparsam. Immerhin kommen Theorbe, Barockgitarre und zwei Cembali zum Einsatz. Eine Truhenorgel gehört auch nicht unbedingt zur Standardausstattung im Orchestergraben. Wer auf der Jagd nach etwas ausgefalleneren Instrumenten ist, kann sich mit der barocken Windmaschine trösten, die vom Paukisten bedient wird. Wenn es in die Unterwelt geht, vervollständigen ein Regenmacher und zwei Donnerröhren das Wetter-Ensemble.

Die Unterwelt ist ein eher seltsamer Einschub in dieser Oper. Nicht nur Admetus und seine Gesellschaft, auch der Fährman Charon ist überzeugt, dass eine Reise in die Unterwelt für Sterbliche höchst gefährlich ist. Nur der oben erwähnte Superheld Hercules kann diesen Einsatz mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg auf sich nehmen und Alceste aus Plutos Reich zurückholen. Doch nachdem Theater-Wind und -Donner der Überfahrt verklungen sind, einigt sich Hercules in einem kurzen Dialog mit dem Herrn der Unterwelt und kann Alceste ohne weitere Schwierigkeiten mitnehmen. Pluto stellt ihm sogar einen Wagen zur Verfügung …

Das mag damit zusammenhängen, dass das Totenreich hier vor allem statisch dargestellt wird. Bühnenbild und Bewegungen der Figuren deuten stark auf „ewige Ruhe“ hin. Dazu passt, dass Pluto und Proserpine Masken tragen. Die Frage ist allerdings, warum diese unbedingt schwarz sein müssen. In Kombination mit den steifen, goldgelben Gewändern erinnern sie ein wenig an Schwarze Madonnen, von denen gelegentlich angenommen wird, dass sie mit Demeter in Verbindung stehen. Ansonsten bleibt auch hier ein Fragezeichen.

P. S.

Ich muss zugeben, dass mir zu dem Namen Alceste als erstes der Freund von „Le petit Nicolas“ eingefallen ist. Folglich war ich etwas erstaunt, dass sich die Oper um eine Heldin dreht. In Frankreich gab es allerdings schon im 17. Jahrhundert einen prominenten männlichen Vertreter dieses Namens.

 

Literatur:

  • Abert, Anna Amalie. “Der Geschmackswandel auf der Opernbühne, am Alkestis-Stoff dargestellt.” Die Musikforschung, vol. 6, no. 3, 1953, pp. 214–235. JSTOR, www.jstor.org/stable/41113059. Accessed 18 Jan. 2020.

Bild:

  • Andreas Rockstein (CC BY-SA 2.0)

Reisemarketing im Mittelalter

Tourismus-Marketing im Mittelalter

Derzeit laufen hier wieder musikalische Vorbereitungen, in denen neben Titeln wie Brötchentüten-Navigator auch eine Cantiga de Santa Maria ihr Unwesen treibt. Davon gibt es über 400, gespielt wird im neudeutschen Mittelalter nur eine Handvoll, noch seltener werden sie gesungen. Vielleicht kommt es daher, dass sich die eine oder andere Band fragt, um wen es sich bei der im Liedanfang erwähnten „Virgen“ wohl handeln könnte – selbst wenn sie einen der Tophits der Sammlung am Wickel haben (CSM 353). Hier geht es allerdings um ein Stück, das noch nicht zum Schlager geworden ist – Razon an de seeren (CSM 218) .

Heilung im zweiten Anlauf

Die Geschichte mit ihren 12 Strophen erzählt von einem deutschen Kaufmann, der zur Buße für seine Sünden nach Compostela pilgert. Der Heilige Jakobus konnte ihm aber nicht helfen, denn die Sünden des Kaufmanns wogen zu schwer. Also machte sich der Kaufmann mit der Hilfe anderer freundlicher Pilger immer noch krank auf den Rückweg. Unterwegs erblindete er sogar, und die Helfer wagten es nicht mehr, ihn noch weiter mitzunehmen. Bei der Muttergottes von Villasirga unternahm der Mann noch einen Versuch, seine Sünden doch noch loszuwerden, und sie heilte ihn.

Konkurrenzkampf um die Pilger

Derlei Geschichten von Rivalitäten zwischen Pilgerzielen und ihren kamen im Mittelalter häufiger vor. A. R. Bell und R. S. Dale betrachten in ihrem Artikel „The Medieval Pilgrimage Business“ das Pilgerwesen vom wirtschaftlichen Standpunkt. Dabei geht es ihnen nicht nur um das Reisen im engeren Sinn, wie etwa manche Historiker die venezianischen Händler, die Pilger auf ihren Schiffen ins Heilige Land transportierten, als die ersten Organisatoren von Pauschalreisen ansehen. Bell und Dale beschreiben auch die Wallfahrtsorte als eine Art Franchise-Betriebe, die unter der Dachmarke der katholischen Kirche agierten.

Dienstleistungen und Sonderangebote

Dabei ist das Marketing eine Aufgabe für die Manager – meist ein Kloster – vor Ort. Sie sind zwar einerseits gehalten, Pilger aufzunehmen und zu versorgen, insbesondere auch Arme und Kranke, und die unterwegs Verstorbenen zu begraben. Andererseits können sie aber für ihre geistlichen Dienstleistungen – Wunder und Ablässe – reichliche Spenden in Form von Geld, Schmuck oder Wachs (wie in CSM 166  zum Beispiel) erwarten. Für Ablässe gab es an manchen Orten regelrechte Preislisten und Sonderangebote zu bestimmten Festtagen oder in heiligen Jahren.
Wunder dagegen wurden offenbar nicht auf Bestellung gewirkt. Man zeichnete sie aber sorgfältig auf, sodass sie lesekundigen Menschen als eine Art „Werbebroschüre“ für den Ort und seine Heiligen dienen konnte. Für die anderen entstanden eben Lieder, die sich unter den Pilgern ausbreiteten. Nach Ansicht von Bell und Dale (S. 613) war das eine der effektivsten Möglichkeiten für ein Pilgerziel, seine Position im Wettbewerb zu stärken: Die Wunder des/der eigenen Heiligen als mächtiger darzustellen als die der anderen. Wenn man eine Jungfrau Maria in seinen Mauern hat, fällt es mit Sicherheit leichter, auch einen Apostel zu überbieten, als etwa mit der Heiligen Kunera von Rhenen .

Fußnote

zu „Weltenbau und Musik“:
Anfang Juni soll mein Urban-Fantasy-Roman Die Weinfestengel erscheinen. Er ist vor einigen Jahren im NaNoWriMo entstanden und verdankt wesentliche Bestandteile dem hohen Anteil von Marienliedern und anderer religiöser Musik auf meiner Festplatte. Ich habe nämlich beim Plotten mehrfach das MP3-Orakel befragt und an den entscheidenden Stellen Antworten wie A Virgen muy Groriosa, Ave Donna Santissima und ähnliches erhalten. Bis zum 30. November war dann nicht nur eine Jungfrau in die Geschichte eingezogen, sondern auch gleich die Heilige Ursula mit ihren 11.000 Gefährtinnen …

Literatur
  • Bell, Adrian R., und Richard S. Dale, „The Medieval Pilgrimage Business“, in Enterprise & Society, Vol. 12, No. 3, Cambridge University Press, September 2011, S. 601-627; https://www.jstor.org/stable/23701445
  • Ohler, Norbert. Pilgerstab und Jakobsmuschel – Wallfahren in Mittelalter und Neuzeit. Artemis und Winkler, 2000.

Weltenbau – Über Musik

Musik spielt in vielen phantastischen Welten eine große Rolle. Manche entstehen sogar erst, indem die zuständige Schöpfergottheit singt bzw. spielt. Das tun die Regenbogenleute nicht, die landen eines Tages auf der fertigen Welt Derevindia und machen sich dort breit. Wenn es so weit ist, liegt die Musik auf der Grenze zwischen dem blauen und dem Indigo-Haus.

Mehrere Jahrtausende Musikgeschichte

Aber natürlich wurde in Derevindia schon vorher gesungen und gespielt. In den alten Zeiten, als die Drachenreiterin die Orks vor dem drohenden Ende der Welt warnte, gab es die Mondaresse von Sulihah, eine Schule für Künstlerinnen. Dort wurden unter anderem Sängerinnen und Spielerinnen eleganter, langhalsiger Zupfinstrumente unterrichtet. Da ich aus diese Zeit bisher noch nicht mal ein Viertel Abenteuer geschrieben habe, kann ich darüber auch kaum etwas erzählen. Vielleicht wird Der Schlüssel zum Abenteuer eines Tages fertig, dann kommen auch die Mondaresse und ihre Schülerinnen zu Ehren.

Mehrere Tausend Jahre später ist Gorja, die Hauptfigur in Die Göttin der Helden, eine Musikerin aus dem fahrenden Volk der Danzy. Sie spielt eine Art Laute und hat eine sehr spezielle Stimme.

Shmeerps

Wie „eine Art Laute“ und die „eleganten, langhalsigen Zupfinstrumente“ zeigen, sind Musikinstrumente die idealen Kandidaten für Shmeerps. Das bezieht sich auf einen Ausspruch, der dem amerikanischen SF-Autor James Blish zugeschrieben wird: Wenn das Wesen aussieht wie ein Kaninchen und sich verhält wie ein Kaninchen, wird es nicht dadurch zum Alien, dass man es Shmeerp nennt.

Nun wurden auf dieser unserer Welt im Laufe der Jahrtausende schon eine Menge Musikinstrumente erfunden, mit einem Namen versehen, weiterentwickelt, von anderen Kulturen übernommen, auf ferne Kontinente exportiert und zwischendrin immer mal wieder mit einem neuen Namen versehen. Die Wahrscheinlichkeit ist also recht gering, dass mir ein völlig neues Instrument einfällt, das sich auch noch sinnvoll in seine Roman-Umgebung einfügt. Selbst das Brontosaurophon gibt es schon.

Ich statte also meine Figuren mit Instrumenten aus, die (ähnlich) bei Hornbostel und Sachs beschrieben und benannt sind. Wenn ich dafür einen neuen Namen erfinde, habe ich ein Shmeerp. Verwende ich den Namen, der unter Terranern dafür gebräuchlich ist, hole ich mir damit ein Päckchen Kultur in die Geschichte, und muss mir überlegen, ob es das richtige ist.

Weltenbau - Musik

Es könnte sich hier um ein Shmeerp handeln

Wie soll es denn nun heißen?

Nehmen wir an, Gorjas Laute sei dreieckig und habe zudem drei Saiten. Wenn ich das Gerät „Laute“ nenne, fällt das Wort beim Lesen nicht auf, das Aussehen gerät in Vergessenheit und stört, wenn es später doch einmal erwähnt wird. Schreibe ich stattdessen „Balalaika“, werden viele nicht nur beim ersten Lesen darüber stolpern und eventuell nach weiteren Russland-Klischees Ausschau halten. Die sind aber nicht vorgesehen.

Also wird es wahrscheinlich doch ein Shmeerp, mit der Erklärung, dass die Danzy eben solche Instrumente und folglich einen Namen dafür haben, die Sesshaften dagegen nicht. Damit habe ich die Sesshaften als „die Normalen“ definiert, nach deren Standards der Rest der Welt einsortiert wird. Das ist ganz nützlich, um sich beim Lesen in der Romanwelt zu orientieren, aber es muss nicht immer so sein.

Jetzt habe ich eine Menge Wörter über diesen einen Punkt zum Thema Musik und Weltenbau verloren und von vielen anderen noch gar nicht angefangen. Auf die werde ich wohl noch zurückkommen, sei es bei diesem Projekt oder bei anderen, die neue Perspektiven auf das Thema mit sich bringen.

Bild: Wilhelm Amandus Beer, Russischer Knabe mit Balalaika

Buddha Passion

Traditionelle Instrumente im modernen Kontext haben auch in einer Übersetzung eine Rolle gespielt, die in diesem Frühjahr entstanden ist. Es handelte sich um das Programm zur Universaloper Buddha Passion des chinesischen Komponisten Tan Dun, unter anderem bekannt für die Filmmusik zu Tiger and Dragon. Die Welturaufführung fand am 23. Mai bei den Dresdner Musikfestspielen statt und wurde vom Publikum begeistert aufgenommen.

Pipa

Im dritten Akt, der sich um die opferbereite Prinzessin Miaoshan dreht, tritt Wenqing Shi als Tänzerin auf. Sie spielt auch eine Form der chinesischen Laute, der Pipa, die in den der Oper zugrunde liegenden Wandmalereien in den Dunhuang-Grotten zu sehen ist. Etwa in der Zeit, in der die Grotten entstanden und belebt waren, entwickelte sich die Pipa unter Einflüssen aus Persien entscheidend weiter. Die Spielhaltung war noch immer horizontal, aber statt der Fingernägel wurde häufiger ein Plektrum verwendet, das Instrument hatte nur noch vier Saiten statt wie früher fünf. Die Anzahl der Bünde war noch deutlich geringer als heute. Sie änderte sich erst im 20. Jahrhundert durch die Anpassung an die westliche Tonskala.

Chinesische Laute

Pipa, horizontal gespielt

Pferdekopfgeige

Im fünften Akt „Herzsutra“, der die Begegnung eines Sängermönchs mit einer Frau aus dem Westen beschreibt, tritt der Obertonsänger Batubagen in Erscheinung. Er spielt die mongolische Pferdekopfgeige oder Morin khuur, ein Streichinstrument mit zwei Saiten. In früheren Zeiten waren diese aus Pferdehaar, heute wird eher Nylon. Auch der traditionell mit Tierhaut überzogene Korpus wird inzwischen meist ganz aus Holz gefertigt.

Morin Khuur

Mongolische Pferdekopfgeige

Batubagen ist auch mit der mongolischen Band Hanggai unterwegs, die 2010 in Wacken zu hören war. Ein gutes Beispiel für die Vielseitigkeit traditioneller Instrumente und ihrer SpielerInnen.

Wer dieses Jahr zufällig noch nach Melbourne oder Hongkong kommt, kann Buddha Passion live hören.

Siehe auch: Tanzen und S(pr)ingen

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