Geschichten und Musik

Schlagwort: Historisches

Die getreue Alceste in Schwetzingen

Die getreue Alceste in Schwetzingen

Schloss Schwetzingen mit Rokoko-Theater

Um hier einmal wieder von den Kochrezepten wegzukommen, gibt es heute einen kurzen Ausflug in die Oper. In der Reihe „Winter in Schwetzingen“ läuft „Die getreue Alceste“, eine Oper von Georg Caspar Schürmann, die 1719 uraufgeführt wurde. Schürmann war Hofkapellmeister in Wolfenbüttel und selbst Sänger (Alt/Tenor), er sang regelmäßig Hauptrollen in seinen Opern. In diesem Fall war wohl Admetus für ihn reserviert.

Eine antike Sage …

Die griechische Sage von Alkestis war im 17. und 18. Jahrhundert ein einigermaßen beliebter Opernstoff. Vor Schürmann haben sich unter anderem Lully, nach ihm Händel und Gluck des Themas angenommen. Der Mann der Titelheldin, König Admetus, liegt im Sterben. Der Herr der Unterwelt ist bereit, ihn zu verschonen, wenn jemand anderes für ihn in den Tod geht. Das tut Alkestis. Ihr Mann ist darüber untröstlich, und der antike Superheld Hercules macht sich auf, um Alkestis zurückzuholen.

Im Laufe der Jahrhunderte und der sich wandelnden Bühnenkonventionen wurde die Geschichte ausgeschmückt und umgebaut, weitere Figuren kamen dazu, andere verschwanden. Aus früheren französischen Fassungen stammt das zweite Paar, das sich im Lauf der Oper findet, Cephise und Strato. Im Libretto von Johann Ulrich König kommt noch die Amazonenprinzessin Hyppolite dazu, die als Mann verkleidet Hercules durch all seine Abenteuer folgt.

… und was daraus geworden ist

In dieser Inszenierung, deren Beginn vom barocken Hof in ein Jetset-Resort der 1960er verlegt wurde, tritt Hyppolite in der ersten Szene als cooler Typ mit Gitarre auf. Das ließ mich zumindest etwas anderes hinter dieser Figur vermuten als den Freund und Beschützer eines Helden. Leider wurde daraus im weiteren Verlauf der Handlung nichts mehr.

Auch Elemente und Motive der Handlung haben sich verschoben. So ist Admetus hier nicht todkrank, sondern wird im Kampf verwundet: Ein weiterer Verehrer entführt Alceste kurz vor der Hochzeit. Hercules lässt sich auf die Reise in die Unterwelt nicht nur aus Freundschaft zu Admetus ein, sondern um Alceste für sich zu gewinnen. Und Alceste erdolcht sich in dieser Fassung auf offener Bühne.

Schürmann selbst hat seine Oper für spätere Aufführungen mit italienischen Arien anderer Komponisten angereichert. Diese sind inzwischen wieder unter den Tisch gefallen. Das Ensemble barockwerk hamburg hat das Werk vor wenigen Jahren wieder ausgegraben, und diese gekürzte Fassung liegt der Inszenierung in Schwetzingen zugrunde.

Wind und Theaterdonner

Die musikalische Leitung hat Christina Pluhar, die unter anderem mit dem Ensemble L‘Arpeggiata bekannt wurde. Da wirkt das Orchester mit fast ausschließlich modernen Instrumenten etwas sparsam. Immerhin kommen Theorbe, Barockgitarre und zwei Cembali zum Einsatz. Eine Truhenorgel gehört auch nicht unbedingt zur Standardausstattung im Orchestergraben. Wer auf der Jagd nach etwas ausgefalleneren Instrumenten ist, kann sich mit der barocken Windmaschine trösten, die vom Paukisten bedient wird. Wenn es in die Unterwelt geht, vervollständigen ein Regenmacher und zwei Donnerröhren das Wetter-Ensemble.

Die Unterwelt ist ein eher seltsamer Einschub in dieser Oper. Nicht nur Admetus und seine Gesellschaft, auch der Fährman Charon ist überzeugt, dass eine Reise in die Unterwelt für Sterbliche höchst gefährlich ist. Nur der oben erwähnte Superheld Hercules kann diesen Einsatz mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg auf sich nehmen und Alceste aus Plutos Reich zurückholen. Doch nachdem Theater-Wind und -Donner der Überfahrt verklungen sind, einigt sich Hercules in einem kurzen Dialog mit dem Herrn der Unterwelt und kann Alceste ohne weitere Schwierigkeiten mitnehmen. Pluto stellt ihm sogar einen Wagen zur Verfügung …

Das mag damit zusammenhängen, dass das Totenreich hier vor allem statisch dargestellt wird. Bühnenbild und Bewegungen der Figuren deuten stark auf „ewige Ruhe“ hin. Dazu passt, dass Pluto und Proserpine Masken tragen. Die Frage ist allerdings, warum diese unbedingt schwarz sein müssen. In Kombination mit den steifen, goldgelben Gewändern erinnern sie ein wenig an Schwarze Madonnen, von denen gelegentlich angenommen wird, dass sie mit Demeter in Verbindung stehen. Ansonsten bleibt auch hier ein Fragezeichen.

P. S.

Ich muss zugeben, dass mir zu dem Namen Alceste als erstes der Freund von „Le petit Nicolas“ eingefallen ist. Folglich war ich etwas erstaunt, dass sich die Oper um eine Heldin dreht. In Frankreich gab es allerdings schon im 17. Jahrhundert einen prominenten männlichen Vertreter dieses Namens.

 

Literatur:

  • Abert, Anna Amalie. “Der Geschmackswandel auf der Opernbühne, am Alkestis-Stoff dargestellt.” Die Musikforschung, vol. 6, no. 3, 1953, pp. 214–235. JSTOR, www.jstor.org/stable/41113059. Accessed 18 Jan. 2020.

Bild:

  • Andreas Rockstein (CC BY-SA 2.0)

Heiße Sohle Anno 1786

In Kürze steht das Altstadtfest Neckargemünd an, bei dem das unvergleichliche, nie dagewesesene Ensemble Neckarklang and Friends spielen wird. Zu den „friends“ zähle auch ich, also folgen hier ein paar Worte zu einem Teil des Programms.

Frisch digitalisiert

Über eine Cantiga de Santa Maria, die wir spielen, habe ich mich schon vor ein paar Wochen ausgelassen. Jetzt geht es um etwas neueres Repertoire, nämlich Tanzmusik aus dem späten 18. Jahrhundert. Seit ihrer Digitalisierung im Jahr 2012 geistert die Sammlung Dahlhoff durch die Folk-Szene. Nicht alle 800 oder so Stücke natürlich, es kristallisieren sich mit der Zeit Schlager heraus. Wir haben es im Speziellen auf Rode See abgesehen. Die Tatsache, dass die Melodien ursprünglich wohl für Geige notiert wurden, hindert uns nicht daran, für unsere Version diverses Gebläse einzusetzen.

Heiße Sohle 1786

Heiße Sohle Anno 1786

„Dahlhoff“ ist allerdings längst nicht die einzige Sammlung dieser Art, und auch schon lange, bevor man Manuskripte digitalisieren konnte, haben sich Leute an die Transkription dieser Musik gewagt. So hat sich zum Beispiel eine Faksimile-Ausgabe des Wernigeröder Tanzbüchleins (1993, mit einem Nachwort von Ernst Kiehl) in mein Regal verirrt. Das Original ist ab 1786 entstanden.

Mit 140 Seiten ist der Umfang überschaubarer als bei Dahlhoff. Notiert wurden die Stücke ebenfalls für Violine, meist in D-Dur, manchmal auch zweistimmig. Wie sich die Bearbeitung für Dudelsack & Co. anlässt, bleibt noch abzuwarten (obwohl – hier ist schon mal ein Beispiel). Dabei handelt es sich vor allem um Menuette, Quadrillen und Anglaisen, die Modetänze der damaligen Zeit. Teilweise sind sie mit Skizzen zur Tanzanleitung versehen. Auch die könnten sich als Bastelgrundlage eignen.

Die Odenwälder mal wieder

Dagegen fällt die Odenwälder Spinnstube (Heinrich Krapp, 1904) mit „300 Volkslieder[n] aus dem Odenwald“ deutlich ab. Teilweise wird da schon der Weg zum Absingen von Seemannsliedern in völlig trockener Umgebung bereitet. Tanzmelodien sind nur wenige enthalten, die sind dafür umso simpler gestrickt. Ein Versuch, sie aus den Tiefen der Unibibliothek Heidelberg zu befreien, wurde abgebrochen. Abgefahrene Instrumente allein schaffen da auch nicht genug Pepp.

Bild: Tanzende Kinder von Lorens Pasch (1733-1805), gemeinfrei

Phantastische Heldinnen III

Mein Beitrag zur Blogreihe über phantastische Heldinnen befasst sich mit Frauen in eher heimatlichen Gefilden in nicht allzu ferner Vergangenheit – mit ein paar Eigenheiten.

Phantastische Heldinnen III

Als dieses Buch erstmals bei Heyne erschien, hat es mich als jugendliche Karl-May-Leserin sehr angelacht. Glücklicherweise habe ich den Kauf bis zur Neuausgabe über zehn Jahre später verschoben; so hatte ich deutlich mehr davon.

Ich lese Carl Amery gern wegen der Sprache(n und Dialekte), und weil sein Humor auf meiner Linie liegt, nicht wegen der handfesten Frauen in seinen Romanen. Die sind eher selten und außerdem ungleichmäßig verteilt. In Das Königsprojekt treten vor allem Deko-Frauen auf. In Der Untergang der Stadt Passau verteidigt eine Tapfere aus dem Gefolge des Schäffs ihre mechanische Nähmaschine bis zum letzten Kapitel. In Das Geheimnis der Krypta ist die Schwester des Helden immerhin die Gewährsfrau dafür, dass das Gold nach jeder Katastrophe wieder in den Händen der Banker landet. An den Feuern der Leyermark hat dafür gleich drei Frauen in größeren Rollen zu bieten – gKall, dTéres und bMaxi (hatte ich schon mal was von „Dialekt“ erwähnt?). Nach ihnen sind die drei Teile des Buches benannt, das außerdem „den Müttern und Großmüttern“ gewidmet ist.

Zum Inhalt

Wir befinden uns im Jahre 1866 nach Christus. Die Leyermark – Bayern, für die Bewohner*innen der hiesigen/jetzigen Realität – ist unter einem griechenbegeisterten König Radwig (I.) ungefähr bei Napoleon falsch abgebogen. In Amerika ist vor Kurzem der Bürgerkrieg zu Ende gegangen, in Deutschland bahnt sich der „Bundeskrieg“ gegen Preußen an. Ein aufstrebender Jurist im Kriegsministerium, einer der wenigen Englisch-Könner weit und breit, bestellt aus US-Armeebeständen 546 Godfrey Rifles, „excellently manned and serviced“. Die kommen mitsamt ihrer Bemannung und mischen den Laden ordentlich auf.

Bisher sind die Geschlechterrollen traditionell verteilt: Die Männer führen Krieg, bauen Maschinen, sind künstlerisch tätig und vor allem wichtig. Die Frauen kochen (gKall), singen im Kirchenchor und gehen beichten (dTéres) oder halten Po und Busen in die Kamera, äh, vor die Leinwand (bMaxi). Männer bündeln, Frauen bleiben für sich.

Das kann man als historisch-realistisch ansehen, muss man aber nicht. 1865 fand in Leipzig eine erste gesamtdeutsche Frauenkonferenz statt, bei der die Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins beschlossen wurde. Davon findet sich in der vorliegenden Geschichte keine Spur. (Was damit zu tun haben könnte, dass reale Ereignisse bzw. Personen in der Regel als Vorlage für satirische Verfremdung dienen. Das wäre im Fall der „Leipziger Frauenschlacht“ nicht gerade originell.)

bMaxi

Die Frauen planen keine Revolution, sie nutzen jeweils die Möglichkeiten ihrer persönlichen Situation, um sich weiterzuentwickeln. Die stärkste Rolle hat in diesem Zusammenhang bMaxi, die am ehesten „modern“ wirkt. Nachdem sie vom angesagten Historienmaler in München entdeckt wurde, arbeitet sie sich weiter nach oben. Gutes Aussehen und lockere Moralvorstellungen mögen dabei helfen, aber bMaxi lernt – gute Umgangsformen und Französisch – und arbeitet – als Galeristin, die den eigenen Laden putzt -, um gesellschaftlich voranzukommen. Ihre serielle Monogamie wird als nicht weiter bemerkenswert dargestellt. Eine negative Bemerkung zum Thema dient vor allem dazu, den Sprecher als rückständigen armen Tropf zu charakterisieren. Sie hat ihren großen Auftritt als symbolische Anführerin der Revoluzzer-Delegation, die zwar nicht zum König vordringt, aber größten Eindruck macht.

dTéres

dTéres legt sich mit der Kirche an, der sie ihr Leben lang treu gefolgt ist. Aber nachdem sie die Reaktion mancher Würdenträger beobachtet, wenn nicht alles seinen gewohnten Gang geht, widersetzt sie sich. Letzten Endes auch ihrem Verlobten, dem sie ebenso lang gegen den Widerstand ihres Vaters die Treue gehalten hat. Die beiden trennen sich wegen weltanschaulicher Differenzen. dTéres wird zum Gegenstand einer kirchenrechtlichen Abhandlung (deren Inhalt im Off bleibt) und fördert damit die Karriere ihres früheren Beichtvaters. Ihre Zukunftsaussichten am Ende des Abenteuers werden über ihren Kopf hinweg von ebendiesem Beichtvater und einem freimaurerisch orientierten Pädagogen diskutiert. Die geneigte Leserin kann allerdings vermuten, dass dTéres ihren eigenen Weg zwischen den sich neu eröffnenden Möglichkeiten findet.

gKall

gKall kommt von den drei Frauen am schlechtesten weg. Ihre Abnabelung vom großen Bruder beruht auf Geld und einer Heirat. In ihrer neuen Rolle ist sie eher stille Teilhaberin als Gestalterin des Unternehmens. Der Autor schreibt ihr zwar „die revolutionärste Idee von allen“ zu, die wird aber in nur einem Absatz im großen Schlusstableau abgehandelt und erscheint, jedenfalls aus heutiger Perspektive, zu kurz gedacht.

Über den Roman ließe sich noch einiges schreiben, mindestens ein Artikel zum Thema Rassismus dürfte noch drinstecken, eventuell auch etwas zum Autor und zum gesellschaftlichen und spekulativ-literarischen Umfeld der Entstehungszeit. Hier geht es allerdings demnächst weiter mit Torchy Burns und ihren musikalischen Widersacherinnen in der Songkiller-Saga von Elizabeth Ann Scarborough.

Literatur:

Ute Gerhard, Unerhört – Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung, Rowohlt 1990

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