Es folgt eine neue Portion Lesestoff: „Die Klinge aus Salz und Mondschein“, Teil 5 der fantastischen Kurzgeschichte von Alice Auciello. Hier geht es zu den Teilen 1, 2, 3 und 4.
Sofort wurde es totenstill in der Großen Höhle.
Silla spürte, wie sich die Augen ihres Vaters auf sie richteten. „Warum?“, fragte er verwundert.
In ihr kroch Wut hoch. Wenn ihr Vater sie wirklich kennen würde, hätte er gewusst, dass sie Aláti haben wollte. Hätte ihr Vater nur einmal richtig hingesehen, hätte er erkannt, wer sie wirklich war. Stattdessen hatte er sie ihn eine weiche, rosarote Anemone verbannt und erwartet, dass sie doch noch das Singen erlernen würde wie ihre Geschwister. Dann hatte er seine gesamte Aufmerksamkeit dem Ältesten zugewandt.
„Weil ich das Reich der Meerwesen schützen möchte. Ich will an den Rändern der Meere entlangziehen und gegen alles Böse kämpfen, das in unsere Gewässer eindringt, wie Herjun, der mit Aláti das schwarze Ungeheuer aus der Tiefe getötet hat, und wie Quilia, die sich geopfert hat, um den Landwesen den Eintritt in das Reich des Meerwesen zu verwehren. Ich möchte Heldentaten vollbringen und die Einsame Garde wiederaufbauen, die alle Meerwesen schützt. Dazu brauche ich Aláti und seine Kraft! Und Aláti braucht mich!“
* * *
„Vater …“ Auch Ajan war aufgesprungen.
„Silla.“ Die Stimme ihres Vaters klang eindringlich. „Sei vernünftig! Du hast doch…“
„Ich kann nicht singen!“, warf Silla ein. Sie wusste selbst, dass sie verzweifelt klang.
„Was?“ Ajan war außer sich vor Wut, das konnte Silla an seinen geballten Fäusten erkennen. Schon seit sie klein war, hatte ihr die Wut ihres ältesten Bruders Angst eingejagt. „Dann lernst du eben singen, du verzogenes Gör. Bloß, weil du nicht singen kannst, heißt das nicht, dass du mein Schwert bekommst! Aláti wurde mir versprochen!“
Sie durfte jetzt keine Angst haben. Nicht, wenn es um Aláti ging und um ihren Traum. „Ich kann nicht singen“, wiederholte Silla. „Doch Aláti singt für mich. Ich kann es hören! Wenn ich mit Aláti kämpfe, singen wir gemeinsam. Dann kann auch ich dieses Reich mit meinem Gesang stärken und schützen.“
Ajan stockte der Atem. „Vater“, presste er erneut hervor.
„Meine Tochter, bist du dir sicher?“, fragte Beon.
„Ich bin mir sicher“, bestätigte Silla. Und diesmal konnte sie deutlich spüren, dass ihre Mutter sie anblickte, und als sie den Blick erwiderte, entdeckte sie ein kleines Lächeln auf dem Gesicht ihrer Mutter.
„Dann sei es so“, sagte ihr Vater und auf einmal sah er unendlich erschöpft aus.
„Aber sie kann nicht kämpfen!“, schrie Ajan mit zornigem Gesicht. „Sie ist ein Mädchen!“
Da fuhr ihre Mutter in die Höhe und klatschte laut mit der Schwanzflosse, sodass Sillas Geschwister erschrocken zusammenzuckten. „Sei still! Sie kann kämpfen und sie wird!“
Silla warf ihrer Mutter einen überraschten Blick zu.
„Dieses Schwert ist kein Geschenk“, sagte ihre Mutter in ruhigerem Ton, der beinahe singend klang. „Aláti muss man sich verdienen.“
* * *
Fortsetzung folgt.
Über die Autorin: Alice Auciello, geboren im Jahr 1999, wuchs in Konstanz am Bodensee auf, wo sie schon früh begann, kleine Geschichte zu schreiben und diese mit grauenhaften Zeichnungen zu verzieren. Am liebsten schrieb die damalige Leistungsschwimmerin natürlich über Meerjungfrauen und andere Wasserwesen.
Seit 2018 studiert Alice Angewandte Medien- und Kommunikationswissenschaften in Thüringen, nebenbei arbeitet sie an ihrem ersten Roman.
Bild: Montipora (CC BY 2.0) , US Fish and Wildlife Service Headquarters, via Wikipedia
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