Es folgt eine neue Portion Lesestoff: „Die Klinge aus Salz und Mondschein“, Teil 4 der fantastischen Kurzgeschichte von Alice Auciello. Hier geht es zu den Teilen 1, 2 und 3.

Lesestoff - Die Klinge aus Salz und Mondlicht

Silla glaubte zu spüren, wie das Schwert sang, Töne voller Freude und Triumph über die neugewonnene Freiheit. Aláti leuchtete, wie Silla es noch nie hatte leuchten sehen, nicht einmal in ihren kühnsten Träumen. Das Schwert schimmerte, als bestünde es aus dem Mondlicht selbst.

Schon seit Generationen befindet sich das Schwert im Besitz unserer Familie, geschmiedet von Herjun, einem der größten Schmiede aller Gewässer. Alátis Klinge besteht aus reinem Meeressalz, geformt in den Strahlen des Mondes und ausgehärtet in Dunkelheit und Kälte auf dem tiefsten Grund des Meeres. Dieses Schwert trägt die tiefste Tiefe und die höchste Höhe aller Meere in sich und gibt demjenigen, der es zu tragen vermag, eine Kraft, die stärker ist als alles andere.“

Ajan grinste selbstgefällig.

Doch um Aláti und dessen Kraft tragen zu können, muss auch der Schwertführer stark sein“, fuhr ihr Vater fort. „Stark und bereit, große Taten zu vollbringen. Deshalb habe ich für diese Aufgabe, für diese Ehre meinen ältesten Sohn auserwählt. Er wird mit diesem legendären Schwert unser Reich verteidigen und unserer Familie Ehre bringen. Aber…“ Sillas Vater machte eine Pause.

Silla spürte, wie das Meeresrauschen in ihren Ohren, in ihrer Brust stärker wurde. Ihre Geschwister warteten gespannt auf die nächsten Worte ihres Vaters. Sie wussten nicht, was jetzt kam. Doch Silla hatte, wutentbrannt, als sie vor vielen Gezeiten erfahren hatte, dass ihr ältester Bruder, der kein Interesse daran hatte, legendäre Taten zu vollbringen, sondern sich lieber auf Alátis Ruhm ausruhen wollte, das Schwert bekommen sollte, von dem sie schon so lange träumte, herausgefunden, was es mit der Zeremonie der Übergabe auf sich hatte.

„… wenn ein anderes meiner Kinder Anspruch auf Aláti erheben will, und das aus gutem Grunde, muss ausgefochten werden, wer des Schwertes würdig ist.“

* * *

Ihre Geschwister schnappten nach Luft, doch Silla nahm sie kaum war. Ihr Blick war fest auf Ajan geheftet.

Er wirkte nicht überrascht, demnach hatte er es gewusst. Dabei sah er keineswegs besorgt aus. Er schien sich sicher, dass keines seiner Geschwister ernsthaft versuchen würde, ihm das Schwert wegzunehmen.

Neben Silla zappelte Meja aufgeregt herum. „Ich will es! Ich will das Schwert!“

Und warum?“ fragt Beon.

Weil es so schön glänzt“, antwortete Meja prompt.

Ajan lächelte siegessicher. „Warte erst einmal ab, bis deine Schwanzflosse ausgewachsen ist, Kleine.“

Bockig schlug Meja mit ihrer Flosse auf den sandigen Boden und wirbelte das Wasser um Silla herum auf.

Gibt es hier sonst jemanden, der das Verlangen hat, Anspruch auf das Schwert meiner Vorväter zu erheben?“, fragte ihr Vater mit lauter Stimme. Doch Silla konnte in seinem Gesicht lesen, dass er, genau wie Ajan, nicht mit einem weiteren Einwurf rechnete.

Das traf auch fast zu. Sillas Geschwister blickten sich neugierig um, doch sie waren eindeutig nicht interessiert an dem Schwert. Sie waren keine Kämpfer.

Sie schaute nochmals in Ajans Gesicht und in das ihres Vaters. Zweifel kamen in ihr auf. Wer war sie überhaupt, dass sie glaubte, ein Anrecht auf Aláti zu haben, ein Schwert für Helden? Aus den Augenwinkeln glaubte sie, den Blick ihrer Mutter auf sich zu spüren, doch als sie hinsah, waren Imajas Augen fest auf Beon geheftet.

In dessen Händen lag Aláti, zwar bewegungslos, doch Silla konnte bereits sehen, wie elegant sich die Klinge in ihrer Hand bewegen würde, lautlos und anmutig, und zwischen ihren Zweifeln ertönte eine Stimme, keine Worte, nur Gesang.

Alátis Gesang, den sie schon vernommen hatte, als sie das Schwert zum ersten Mal betrachten durfte. Es war ihr Schwert. Sie konnte es spüren, ganz tief in sich, wo sie normalerweise nur die Bewegungen der Ozeane spürte, den Rhythmus der Gezeiten.

Noch einmal atmete sie durch, dann erhob sie sich langsam und blickte ihrem Vater entschlossen ins Gesicht. „Ich erhebe Anspruch auf Aláti!“

* * *

Fortsetzung folgt.

Über die Autorin: Alice Auciello, geboren im Jahr 1999, wuchs in Konstanz am Bodensee auf, wo sie schon früh begann, kleine Geschichte zu schreiben und diese mit grauenhaften Zeichnungen zu verzieren. Am liebsten schrieb die damalige Leistungsschwimmerin natürlich über Meerjungfrauen und andere Wasserwesen.

Seit 2018 studiert Alice Angewandte Medien- und Kommunikationswissenschaften in Thüringen, nebenbei arbeitet sie an ihrem ersten Roman.

Bild: Montipora (CC BY 2.0) , US Fish and Wildlife Service Headquarters, via Wikipedia


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