Es folgt eine neue Portion Lesestoff: „Das Gold des Leprechauns“, Teil 2 der phantastischen Kurzgeschichte von Nora Meister. Es geht wieder ins Meer – und zurück an Land, bevor das Himbeereis schmilzt. Hier findet sich Teil 1.
Ich stand am Rande einer schmalen Straße, umgeben von Büschen und Bäumen. Einen Bürgersteig gab es nicht, dafür aber meterhohe Hecken und eine Brücke, die über ein Flüsschen führte. Wo war ich? Auf dem Brückengeländer aus Stein saß ein kleiner Mann im grünen Anzug, rot im Gesicht, mit einem Dudelsack auf den Knien. Er funkelte mich wütend an und schimpfte weiter vor sich hin. Ich war verwirrt: „Hä?“
Da schlug sich der Mann mit der Hand an die Stirn. „Deutsch? Du kommst aus Deutschland? Diese Sprache mag ich nicht. Verstehst du kein Gälisch?“
„Ähm, nein, leider nicht. Wo bin ich?“, fragte ich ihn, immer noch verwundert. Staunend sah ich mich um, die Gegend kam mir irgendwie bekannt vor. War ich hier schon einmal gewesen? Plötzlich fiel der Groschen. Die Brücke! Die hatte ich schon einmal gesehen. Das war die Blackwater Bridge bei Lackeen! Ich … war in Irland!
„Wie bin ich hier hergekommen? Grade eben war ich doch noch zu Hause!“ Das Ganze war verwirrend, das konnte doch gar nicht wahr sein! War das Zauberei? Hatte mich der kleine Mann hierher gezaubert?
Meine Fragen ernteten ein genervtes Schnauben seinerseits, bevor er vom Geländer der Brücke sprang.
„Du redest zu viel. Du sollst aber nicht reden, du sollst mir helfen! Also halt den Mund!“ Mit dieser Ansage verschwand er unter der Brücke.
Als ich am Straßenrand stehen blieb, kam er wieder hervorgeschlüpft und verlangte ungeduldig: „Na, worauf wartest du denn noch? Hopp, hopp, du hast zu tun!“
* * *
Noch immer reichlich verwirrt folgte ich ihm unter die Brücke. Dort fand ich eine kleine Höhle im steilen Ufer des Flusses, davor eine Feuerstelle.
Der kleine Mann begann grimmig murmelnd, im Kreis zu laufen.
Doch nun wurde auch ich ungeduldig. „Was willst du überhaupt von mir? Wer bist du, was mache ich hier und vor allem, wie komme ich wieder nach Hause? Mein Eis schmilzt doch!“ Ungehobelt sein konnte ich genauso gut wie der Kerl, immerhin hatte ich zwei Brüder.
„Dein Eis? Was ist denn so wichtig an deinem Eis? Erzähl mir nichts von Eis! Mein Gold ist weg! Das ist viel schlimmer! Hör mir auf mit deinem Eis!“ raunzte mich der Kerl an. Da dämmerte mir, wen und was ich hier vor mir hatte. Den Leprechaun von Blackwater Bridge!
* * *
Fortsetzung folgt.
Weiteren optimistischen Eskapismus gibt es hier, hier und ab hier.
Die Autorin: Nora Meister, Baujahr 1992, konnte sich in frühen Jahren nicht allzu sehr fürs Lesen begeistern. Eigene Geschichten über schulpflichtige Schnecken verfasste sie allerdings schon im Grundschulalter. Im Laufe der Zeit gewann auch das Lesen für sie an Bedeutung, sodass sie nun Herrin über ein brechend volles Bücherregal ist. Ihr verworrenes Leben mit Studium, Judo, Ehemann und viel zu vielen Tieren entwirrt sie, indem sie noch immer Geschichten schreibt: mittlerweile ohne Schnecken, dafür mit (viel zu viel) Fantasie. Auch wenn sie von fernen Inseln träumt, lebt und schreibt sie doch am liebsten im schönen Odenwald, wo denn auch sonst?
Bild: via Wikipedia, CC BY-SA 3.0
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