Es folgt die nächste Portion Lesestoff, “Dämlich, aber froh”, Teil 7 der phantastischen Kurzgeschichte mit ausgiebiger Eiersuche. Hier geht es zu Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5 und Teil 6.

Lesestoff - Dämlich, aber froh

Eine Zeit lang ging es für Harry weder vor noch zurück. Gelegentlich träumte er von gegrilltem Huhn, Knochen, die ihn ersticken wollten, oder Kampfhähnen, die sich auf ihn stürzten. Der Wagen von Rent-a-Chicken blieb verschwunden. Harry verkaufte sein drittes Ei, und die neue Ladung Geld auf dem Konto motivierte ihn dazu, den Hühnerstall im Keller einzurichten. Nur so, falls sich doch wieder etwas tat.

* * *

Dann kam Dieter vorbei, der auf der gegenüberliegenden Seite des kleinen, struppigen Niemandslandes wohnte. Er war Lehrer im Ruhestand und konnte noch immer nicht aufhören, Leute zu beglücken. Anscheinend waren wieder einmal Diskussionen aufgekommen, was man mit dem verwahrlosten Grundstück machen und wer sich darum kümmern sollte, und Dieter hatte Rent-a-Chicken entdeckt.
„Das wär doch was für uns!“, erklärte er begeistert. „Wir können das erst mal vier Wochen ausprobieren, also, wie viel Arbeit das macht, was es kostet, so an Futter und allem, und wie wir mit den Eiern rauskommen.“ Er winkte mit einer Handvoll Flyer. „Da steht, was es kostet und wie die Konditionen sonst sind. Sie können sich das ja mal anschauen.“ Das klang, als warte er darauf, dass Harry sofort begeistert ja rief.
Er ließ sich aber nichts anmerken und fragte vorsichtig: „Was sagen denn die anderen dazu?“
Dieter beschrieb genau das, was Harry erwartet hatte. Familie Eraydın war einverstanden – die zwei jüngeren Kinder waren hinter jedem Getier her, das kleiner war als sie und sich herumjagen ließ. Die Tanten Schröder wollten sichergestellt haben, dass der Mist nicht stinken würde und sie regelmäßig ihre Eier bekommen würden.
Harry nahm einen Flyer in Empfang und sagte achselzuckend: „Meinetwegen.“
Wenig später kam Dieter noch einmal an die Haustür, um Harrys Anteil an der Hühnermiete zu kassieren. Er hatte außerdem einen schriftlichen Vertrag dabei, in dem geregelt war, wer für welche Aufgaben zuständig sein und wie viele Eier bekommen sollte. Dieter würde das Geld überweisen und insgesamt für Rent-a-Chicken als Ansprechpartner zur Verfügung stehen.
„Haben Sie schon einen Eierbeauftragten?“, fragte Harry. Notfalls würde er sich freiwillig melden.
„Das macht die Frau Minich.“
Harry musste kurz überlegen. Das war die jüngere Tante Schröder. Wahrscheinlich würde sie drei Tage durchhalten und dann Harry bitten, ihre Aufgabe zu übernehmen. Sie hätte Rückenschmerzen. Oder Kopfschmerzen. Vielleicht war sie auch allergisch gegen die Futterpellets.
„Dann ist ja alles geregelt …“
„Einen Mistwart könnten wir noch brauchen“, unterbrach Dieter und schaute Harry erwartungsvoll an.
Er schluckte. „Also, den Mistwartgehilfen würd ich machen.“
„Gut, dann notiere ich mir das mal.“ Dieter rückte seine Brille zurecht und malte Haken auf seine Liste. Von einem Gehilfen stand da vermutlich nichts.

* * *

Einige Tage später kam Harry von der Arbeit nach Hause und fand die Nachbarschaft vollzählig auf dem Niemandsland versammelt, rund um den grün lackierten Wagen von Rent-a-Chicken und einen Zaun aus Hühnerdraht. Die älteste Tochter der Familie Eraydın fotografierte und filmte eifrig.
Dieter kam auf ihn zu und zog wieder einmal eine Liste aus der Brusttasche seiner grünen Latzhose. „Wir haben einen Mistwart“, verkündete er. „Die Emel macht das. Ich find das toll, dass die sich so engagiert.“
„Ich auch“, sagte Harry. „Und wie gesagt, wenn sie mal eine Vertretung braucht …“

Nun hatte er sein Ziel buchstäblich vor der Haustür und konnte seinen Plan weiter ausarbeiten. Bei gerade einmal fünf Hühnern durfte er nicht einfach eins verschwinden lassen, wenn überhaupt das richtige dabei war und er es identifiziert hatte. Drei der Hennen hatten weißes Gefieder mit schwarzen Einsprengseln, die anderen beiden glänzten rostbraun. Harry identifizierte die beiden Rassen – Sussex und Marans – und suchte Züchter, von denen er schnell ein Huhn bekommen könnte, wenn es so weit war.

* * *

Fortsetzung folgt.

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Bild: Simon Meyer, foto-x.ch, CC BY-SA 3.0


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