Hier kommt noch einmal Lesestoff, das letzte Stück des Tortenmärchens “Am 32. Nietember” (Teil IV).
Da kam eine Frau in einem langen lila Kleid herein, mit einem spitzen Hut auf dem Kopf und mit einem ellenlangen Stab in der Hand, an dem ein Stern funkelte. Die Leute im Laden stoben auseinander.
„Habt ihr vielleicht etwas vergessen?“, fragte die Frau.
„Hattet Ihr etwas bestellt?“, fragte die Tochter zurück.
„Die schönste und beste Torte von allen zu meinem Geburtstag.“
„Am zweiunddreißigsten Nietember“, sagte die Tochter. „Die haben wir geliefert. Auf einen Pilz mit braunem Hut.“
Auf der Theke vor ihnen erschien die Sahnetorte.
„Also, das krieg ja ich schöner hin“, murrte eine Frau weiter hinten im Laden.
Die Fee nickte ihr zu.
Ein Stück löste sich aus der Torte, als ob es jemand mit dem Messer abgeschnitten hätte. Unter der Sahne wurde einfacher heller Teig sichtbar. Zwei Lagen waren mit einer dünnen Schicht roter Marmelade zusammengeklebt.
„Ihr wisst, was in eine Torte zu meinem Geburtstag gehört“, sagte die Fee streng. „Also, wo sind die Fitzelbeeren?“
Die Kinder schüttelten den Kopf. „Wir haben …“
„Wo sind die Nüsse, ganz und gemahlen?“
„Aber …“, begann der Sohn.
„Wo ist die Schokolade, hell und dunkel?“
„Hier“, sagte das Jüngste und holte Körnchen hervor, wie es sie dem Morgenvogel gebracht hatte.
„Aber das ist keine Torte“, erwiderte die Fee. „Wo ist die?“
Die drei schauten einander betreten an. „Am Niederschemel“, sagte die Tochter. „Dorthin haben wir sie geliefert.“
„Bunt verziert.“ Der Sohn beschrieb ausführlich, wie er die Buttercreme in schönen Farben und die Glasur aus heller Schokolade zu einer Blume angeordnet hatte.
„Die haben wir zu dem Pilz mit dem breiten braunen Hut gebracht, mit der Trage. Der Morgenvogel hat uns den Weg gezeigt“, sagte das Jüngste.
„Seid ihr sicher, dass die Katze nicht dabei war?“, fragte die Bäckerin.
„Die Katze?“, fragte die Fee.
„Die Katze?“, fragten die Tochter und der Sohn.
„Die struppige Tigerkatze gehört in die Bäckerei im Nachbarort“, sagte sie. „Wo die vorbeikommt, gibt es ein Unglück.“
„Dann hat der Bäcker unsere Torte geholt“, sagte das Jüngste.
„Das ist mir gleich, bringt mir meine Torte. Sonst muss ich die von diesem anderen Bäcker nehmen“, sagte die Fee und zog ein Gesicht, als ob sie Ohrenschmalz essen sollte.
Die Kinder schauten einander an.
„Er bringt sie bestimmt …“, begann die Tochter.
„… der Wolke Nimmersatt“, fuhr der Sohn fort.
„Zum Hochtisch“, ergänzte das Jüngste.
„Dann schnell dorthin“, sagte die Bäckerin und schob die Teigmulde ihrer Großmutter aus der Backstube. Die drei Kinder sprangen hinein, und mit einem hellen Lachen flog die Mulde zur Tür hinaus.
* * *
Über den Kindern in ihrer Teigmulde hing dick und dunkelgrau die Wolke Nimmersatt. Als sie den Hochtisch fast erreicht hatten, fielen die ersten Goldklümpchen wie Hagelkörner.
Die drei wehrten die kleinen Geschosse ab und landeten auf dem Hochtisch.
Da stand ihre Torte, unversehrt, noch genau so schön verziert, wie sie die Bäckerei am Morgen verlassen hatte.
Die Tochter und der Sohn liefen hin, um sie zu holen.
Da ließ es die Wolke Silber regnen, in Klumpen groß wie Walnüsse.
Das Jüngste hob die Teigmulde hoch, sodass das Silber hineinfiel und nicht auf die Torte.
Aus dem Dorf hörten sie die Leute schreien, denen es die Fenster zerbrach und das Federvieh erschlug. Der Hagel fiel, in Gold und Silber und Edelsteinen, und die Körner wurden immer größer.
Über das Feld kam lachend der neidische Bäckermeister mit der struppigen Tigerkatze angelaufen und hielt einen Sack auf, damit er sich füllte. Da traf ihn ein großer roter Brocken am Kopf, und er fiel vornüber ins Feld, wo der Weizen auflief. Einen Augenblick später war er unter Gold, Silber und Edelsteinen begraben.
* * *
Die Tochter und der Sohn trugen die prächtige Feengeburtstagstorte vom Hochtisch herunter. Das Jüngste hielt die Teigmulde darüber wie einen Baldachin, der den sonderbaren Hagel auffing, bis sie unter der dicken, dunkelgrauen Wolke Nimmersatt heraus waren. Da setzten sie sich wieder hinein in die Mulde und flogen mit der Torte zu dem Pilz mit dem breiten dunkelbraunen Hut. Dort stellten sie ihr Geschenk ab und warteten, bis die Fee kam, um es zu holen.
Die erschien bald in ihrem langen Kleid und dem spitzen Hut mit einem Gefolge von kleinen Blütenfeen. Der Morgenvogel saß auf ihrer Schulter.
„Die Wolke Nimmersatt will ich euch vom Leib halten bis zum nächsten Mal“, sagte die Fee, „aber wer von euch führt in Zukunft die Bäckerei?“
Die Kinder sahen einander an, dann antworteten sie wie aus einem Mund: „Wir machen es zu dritt, dann wird es gut.“
E N D E
Bild: Pixabay
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